Ihre Geschichte

Barny

Am 07. September 2015 spätnachmittags hörten wir auf der dem Bleichesbach zugewandten Seite unseres Anwesens, aus einem der Nebengebäude an der Scheune, ein herzzerreißendes Schreien und Jammern. Das Sirenengeräusch entpuppte sich als sehr kleine Katze.

 

In Natzungen gibt es etliche wild lebende Katzen ohne Besitzer, die auch schon in unserer Scheune Nachwuchs zur Welt gebracht haben, was für die eingelagerten Güter nicht unbedingt von Vorteil war. Aus diesem Grund haben wir einen großen Teil der Gebäude Katzen- und Waschbärsicher abgedichtet. Wie konnte also ein Katzenbaby an den Fundort gelangen der einer Kätzin keine Zugangsmöglichkeit bot? Es gab nur eine winzige Auslassung an einem Tor, kaum groß genug für eine Maus, so dass sich das hilflose Wesen auf der Suche nach Wärme und Futter in diesen Raum vorgearbeitet haben musste und nun mit letzter Kraft um Hilfe schrie.

 

Die Suche nach einer Kätzin oder Geschwistern blieb erfolglos, was den Verdacht nahelegt, das wieder ein Zeitgenosse ohne Mitgefühl sich junger Katzen entledigt hat. Es war nicht das erste Mal das wir am Bach oder bei der Scheune junge Katzen gefunden haben die jemand über den Zaun geworfen hat. Bis zu diesem Tag waren sie beim Auffinden aber immer schon tot. Das Katzen von verantwortungslosen Haltern, die ihre Tiere nicht sterilisieren lassen, auf dem Land ausgesetzt werden, ist nichts ungewöhnliches und wurde auch bei uns leider schon beobachtet, aber wer bringt es fertig so eine hilfloses Wesen einfach wegzuwerfen?

 

Nach tierärztlicher Auskunft war der kleine Grautiger ca. 14 Tage alt und wollte ein Kater werden, wofür die Chancen nicht besonders gut standen, denn wenn das Jungtier nicht lange genug gesäugt wird, baut sich kein funktionierendes Immunsystem auf und der Tod durch eine Infektion ist im Allgemeinen nicht zu vermeiden. Wir haben es trotzdem probiert und versucht einen aus speziellem Aufzuchtpulver angerührten Ersatz für Katzenmuttermilch in die kleine Katze zu bekommen. Ein saugfähiger Lappen und eine Spritze erwiesen sich als brauchbarer Behelf und auch wenn die Prozedur immer wieder in einem Milchbad endete, konnte so der Nahrungs- und Flüssigkeitsbedarf des Katzenbabys gedeckt werden.

 

Dies bedeutete, dass man rund um die Uhr in kurzen Abständen füttern musste und alles was man mühsam hereinbekam, musste auch wieder hinaus. Sowenig wie das Katzenbaby selbst fressen kann, sowenig kann es sich auch alleine entleeren. Das haben wir glücklicherweise alles hinbekommen und so wurde aus dem kleinen Bündel mit den blauen Augen ein neugieriges Kätzchen das sobald es wach war immer und überall dabei sein wollte. Es hatte auch gelernt die Milch selbstständig aus der Spritze zu saugen. Richtig angedockt war das eine Sache von Sekunden, was dem kleinen Gierschlund regelmäßig einen kräftigen Schluckauf einbrachte. Die Idee ihn Hickup zu nennen haben wir aber verworfen. Nachdem es so aussah als ob er überleben würde bekam er einen Namen, angelehnt an den Fundort: Barny (von Barn, engl. für Scheune).

Tinto

Aber damit nicht genug. Einige Wochen später war in der alten Wagenremise, auch ein Teil der großen Scheune, wieder lautes Jammern zu hören.

 

Diesmal gestaltete sich die Rettung allerdings schwierig, denn das Tier war nicht zu sehen und versteckte sich unter einem alten Futtertrog. Der Raum ist ebenfalls gegen größere Tiere gesichert, voll mit historischem Gerümpel und praktisch ohne Tageslicht. Nachdem das herzzerreißende Geschrei immer schlimmer wurde, haben wir Teile des Lagers ausgeräumt um der Sache auf den Grund zu gehen. Im Licht der Taschenlampe tauchte dann ein winziges schwarzes Etwas auf, das sich schreiend und zitternd unter einen riesigen Sandsteintrog geflüchtet hatte.

 

Eine Bergung war aufgrund der zubewegenden Massen ausgeschlossen und das Tier ließ sich weder mit gutem Zureden, noch mit Futter aus seinem vermeintlich sicheren Versteck locken. Tags darauf war der Hunger aber wohl so groß, dass es sich herauswagte und so etwas wie eine kleine Katze in außerordentlich erbärmlichen Zustand zu erkennen war. Sie hatte geradezu panische Angst vor Menschen und nahm Futter erst an wenn sie alleine im Raum war. Auch hier tauchte leider keine Kätzin zur Versorgung des Kleinen auf. Wenn wir nicht mehr gefüttert haben ging das Gejammer wieder los.

Eine Untersuchung des Raumes ergab, dass das Tier, obwohl eigentlich für feste Nahrung zu jung, versucht hatte alles zu fressen was irgendwie zu erreichen war. Alte Lederriemen, Wagenfett und schon vor langer Zeit verstorbene Mäuse standen auf dem Speisezettel. Leider war es unmöglich die fast verhungerte Minikatze einzufangen und so haben wir dann viele Tage und Nächte bei eisigen Temperaturen in der Wagenremise verbracht um Stück für Stück ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Ein ungewöhnliches Geräusch, oder nur eine andere menschliche Stimme, und wir waren wieder bei null. Aber in kleinen Schritten ging es letztendlich aufwärts und irgendwann hat es “klick“ gemacht. So fand endlich die erste echte Begegnung statt. Kurz darauf gelang es den kleinen Flohsack einzufangen und erst einmal tierärztlich zu versorgen.


Zwischenzeitlich hatten wir für das Tier, das trotz reichlich Futter und Vitamingaben immer noch mehr wie ein kranker Gremlin wirkte und nicht wie eine junge Katze, eine der alten Knechtkammern zu einer katzengerechten Quarantänestation umgebaut. Der erschreckende Auffindezustand besserte sich nur langsam, aber als endlich alle Flöhe und Würmer besiegt waren, ging es beständig voran. Nachdem wir auch dieses “Wrack“ wieder soweit aufgepäppelt hatten, dass für den kleinen Kater eine echte Überlebenschance bestand, brauchte auch er einen Namen. Da sein seidiges schwarzes Fell glänzte wie alte schwarze Tinte hieß er fortan Tinto.

Nach Aussage der Tierärztin ist er ca. 14 Tage später als Barny geboren, sie stammen also nicht aus dem gleichen Wurf. Als der Impfstatus es geradeso zuließ haben wir natürlich versucht die beiden Katzen zusammenzubringen in der Hoffnung, dass sich die Tiere gegenseitig bespaßen und wir aus der aufreibenden 24-Stunden Betreuung herauskommen, was allerdings nicht zu klappen schien. Barny hat den Kollegen erst total ignoriert und fing dann an zu schnattern, was heißt, dass er ihn nicht als Artgenossen erkannt, sondern als Beute eingeordnet hat. Auch weitere Versuche, immer noch durch ein Gitter hindurch, liefen nicht gerade optimal. Der stundenweisen Zwangszusammenführung folgte dann eine intensive Trainingseinheit bei der wir versucht haben den Beiden klarzumachen sich weder gegenseitig umzubringen, noch das Haus zu verwüsten. Nach knapp 48 Stunden waren alle Beteiligten einem Erschöpfungskoma nahe, aber seitdem sind die Beiden ein Herz und eine Seele. Zudem werden verschiedene Kommandos nicht nur verstanden, sondern auch befolgt. Nur das mit dem nicht Verwüsten ist noch verbesserungswürdig.

Barny & Tinto

Fortan gab es also nicht Barny oder Tinto, sondern nur noch Barny und Tinto.


Schnell hatten sie herausgefunden, dass sie einen zu Zweit noch viel besser um den Finger oder vielmehr um die Pfote wickeln können und dies erstaunlich strategisch und koordiniert eingesetzt.

Klar, es gab auch sinnvolle Arbeiten für die jungen Katzen, wie zum Beispiel die Montagearbeiten unter den Schränken und Regalen. (Wir haben bis heute nicht herausgefunden was da so wichtiges zu erledigen war.)

Oder aber die Weltherrschaft der Schuhe zu verhindern, vorzugsweise nachts, wenn man sie an den Schnür-senkeln durchs ganze Haus schleifen konnte, um sie in einer Ecke in Ruhe mit einer Zierperforation oder Zwangs­belüftung zu versehen.

 


Soviel Energie musste man doch nutzen können und so wurde den heranwachsenden Rabauken ein Trainingsangebot gemacht: Die Wühlmausjagd. Nicht so einfach wie eine Feldmaus zu erwischen, aber mit ein wenig Hilfe beim Aufgraben der Bauten dieser Schädlinge und dem antrainierten Verhalten gemeinsam zu jagen ohne sich den Erfolg gegenseitig streitig zu machen, wurden bald mehr Kartoffelvernichter gefangen als gefressen werden konnten. So blieb immer noch etwas für die Nachbarskatzen, die das Ganze eher argwöhnisch beäugten, sich aber gerne an den Resten bedienten. Abgesehen von einem kleinen “Unfall“ als Barny eine wirklich große Schermaus nicht richtig erwischt hatte; selbige ihn mit ihren Nagezähnen in die empfindliche Nase biss und nicht mehr loslassen wollte, waren alle Beteiligten sehr zufrieden: Entertainment und artgerechtes Fressen für die Katzen, sowie eine wesentlich verbesserte Ernte für mühselige Selbstversorger nebst zwei sehr ruhigen und lange schlafenden Katzen. Die Beiden sahen immer wieder aus wie zwei Erdferkel, wenn sie bei schlechtem Wetter mit Begeisterung fast bis zur Erschöpfung im schweren Boden gebuddelt hatten und deshalb mussten sie auch noch lernen, sich widerstandslos baden, waschen und abtrocknen zu lassen. Entgegen der gängigen Behauptung, dass das alles gar nicht geht, schienen sie es letztendlich sogar zu genießen.

 

Es gibt viele kleine Geschichten über das ungewöhnliche Zusammenleben mit Barny und Tinto, aber es wird keine Neuen mehr geben. Barny ist fort und Tinto trauert. Gejagt wird fast nichts mehr (alleine funktioniert das bei Wühlmäusen auch nicht so gut) und der Tag wird mit Suchen und Jammern verbracht, das es einem das Herz zerreißt. Das Tiere trauern, sogar um den Menschen mit dem sie Zusammenleben ist nichts Neues, auch nicht, das einige den Kummer nicht überleben, aber dies in einer solchen Ausprägung zu erleben, macht den Verlust von Barny noch trauriger.